| Uhren
Dieser spektakuläre Megadeal hatte sich angedeutet. Rolex steigt damit erstmals direkt in den Fachhandel ein. Welche Folgen hat das für Bucherer – und für die anderen Rolex-Fachhändler? Eine Analyse von Gisbert L. Brunner.
Wie viel Geld in diesem spektakulären Fall geflossen ist, bleibt das Geheimnis von Rolex und Bucherer. Billig war der Kauf des traditionsreichen Schweizer Nobeljuweliers mit mehr als 100 Filialen in Europa und den USA durch die Genfer Rolex-Gruppe sicher nicht. Bei geschätzten 1,8 Milliarden Schweizer Franken Jahresumsatz dürfte Jörg Gerold Bucherer, sofern die Wettbewerbshüter am Ende auch tatsächlich zustimmen, mehrere Milliarden Franken vereinnahmen. Zur Mehrung seines persönlichen Reichtums braucht der 87-jährige Patriarch das Geld definitiv nicht. Auch ohne den Deal gehört der weltweit größte Rolex-Fachhändler zu den wohlhabendsten Schweizern.
Enge Verbindungen seit fast 100 Jahren
Bis ins Jahr 1888 reicht die Tradition des Hauses Bucherer zurück. Seine Gründung erfolgte durch Carl F. Bucherer im malerisch gelegenen Luzern. 1920 rief Hans Wilsdorf in Genf die Montres Rolex SA ins Leben. In diesem Zusammenhang übersiedelte er von England in die Schweiz. Schon vier Jahre später, 1924, startete die Kooperation, im Zuge derer sich Bucherer sukzessive zum wichtigsten Rolex-Konzessionär entwickelte.
Wie Jörg Gerold Bucherer im Rahmen der Eröffnung der noblen Hamburger Filiale einmal erzählte, war Hans Wilsdorf gelegentlich bei den Bucherers zu Gast. Als 20-Jähriger durfte er dem deutschstämmigen Uhren-Visionär und Marketinggenie seine Aufwartung machen. Diese Begegnung, so Bucherer, habe sein Bewusstsein in punkto traditionsbezogener Unternehmensführung, behutsamer Evolution und Streben nach unbedingter Qualität sehr stark geprägt.
Die Kalender zeigten 1976, als er in dritter Generation die Leitung des Familienunternehmens von Vater und Onkel übernahm. Durch den Kauf der Anteile seines Cousins sowie den Erwerb frei an der Börse gehandelter Anteilsscheine wurde er alleiniger Inhaber des traditionsreichen Familienunternehmens. 2001 war die vollständige finanzielle Unabhängigkeit erreicht.
Banken waren dem betont konservativ agierenden Geschäftsmann aus unliebsamen Erfahrungen eher ein Dorn im Auge. Deswegen strebte er bei seinen zahlreichen Übernahmen, zu denen unter anderem Haban in Wien, Huber in München, René Kern, die Kurz-Gruppe, die Londoner Watch Gallery und, als größter Brocken, die US-amerikanische Tourneau-Kette mit nicht weniger als 28 Ladengeschäften gehörten, das Agieren aus eigener Kraft an. Anfänglich scheinbar riskant war die Einrichtung eines riesigen, in erster Linie auf chinesische Touristen abzielenden Geschäfts am Pariser Boulevard des Capucines. Aber Beharrlichkeit machte sich auch im weltweit größten Uhrengeschäft bezahlt.
Primus übernimmt Primus: Ergibt das Sinn?
Stellt sich also die Frage nach dem Warum. Der Grund, warum Jörg G. Bucherer sein Handelsimperium an neue und mit Rolex vor allem extrem zuverlässige Eigentümer überträgt, ist wohl primär in seiner Kinderlosigkeit zu sehen. Direkte familiäre Nachkommen sind nicht vorhanden. Mit Blick auf sein schon sehr fortgeschrittenes Alter möchte er sein Haus bestellt und auch für die Zukunft in besten Händen wissen.
Gerüchte über einen Verkauf von Bucherer an Rolex waren in der Vergangenheit übrigens schon öfter hochgekocht. Zusätzliche Nahrung erhielten sie Anfang Dezember 2022 durch die Bekanntgabe einer engen Zusammenarbeit auf dem zunehmend bedeutsamen Gebiet der „Certified Pre Owned“ (CPO) Zeitmesser. Hier hat sich Bucherer über die vergangenen Jahre hinweg einen herausragenden Ruf erarbeitet. Und das vor allem auch deswegen, weil stets eine saubere Trennung des Handels mit neuen und gebrauchten Uhren erfolgte.
Mit seinen rund 2400 Mitarbeitenden und mehr als 100 Verkaufsstellen ist Bucherer weltweit der unangefochtene Primus vor Watches of Switzerland. 53 dieser Geschäfte verkaufen Uhren der Marke Rolex, 48 solche der Rolex-Tochter Tudor. Nicht minder wichtig ist die Tatsache zu bewerten, dass Bucherer über den Uhrenverkauf hinaus auch ein offizielles Kundendienstzentrum für die Produkte beider Marken unterhält. Einschlägig qualifizierte und zertifizierte Uhrmacher in den Werkstätten arbeiten nach den strengen Standards der Genfer Manufaktur, welche jährlich schätzungsweise 1,2 Millionen Armbanduhren produziert und rund acht Milliarden Schweizer Franken umsetzt. Im Übernahmepaket enthalten ist übrigens auch die Uhrenmarke Carl F. Bucherer. So gesehen könnte es sein, dass sie künftig verschiedene Kaliber von der Werkeschmiede Kenissi beziehen und dadurch Uhren der Kollektion aufwerten wird.
Was wird aus den anderen Fachhandelspartnern?
Unter den genannten Vorzeichen ist die jetzt erfolgte Übernahme des Hauses Bucherer durch Rolex nicht nur eine logische, sondern auch äußerst sinnvolle Entscheidung. Sie stellt in der Tat sicher, dass auch nach dem Ableben des bisherigen Inhabers alles in geordneten und gewohnten Bahnen weiterläuft wie bisher. In diesem Sinne bleibt Bucherer ein eigenes Profitcenter. Nicht zu erwarten steht auch, dass Rolex alle Bucherer-Geschäfte in eigene Boutiquen umwandelt. Der anerkannte und renommierte Name Bucherer bleibt erhalten. Ob künftig mehr Filialen Uhren der Marken Rolex und Tudor führen werden, bleibt abzuwarten. Hätte es ins Vertriebskonzept gepasst, wäre das sicher schon vorher geschehen. Außerdem ist Rolex mit seiner überlieferten Fachhandelstreue fair genug, den großen Kreis seiner angestammten Fachhandelspartner rund um den Globus nicht schlechter mit Uhren zu versorgen als die 53 Verkaufsstellen des Neuerwerbs.
Spannend bleibt, wer eines Tages die dann weltgrößte Rolex-Boutique im neu zu errichtenden Rolex-Hochhaus an der New Yorker Fifth Avenue betreibt. Dort zeichnete bis zur Schließung vor dem Abriss des Gebäudes Juwelier Wempe verantwortlich. Es könnte durchaus sein, dass nun Bucherer zum Zuge kommen wird. Ungeachtet dessen legt Rolex jedoch großen Wert auf die Feststellung, dass die bestehende und ausgesprochen erfolgreiche Zusammenarbeit mit angesehenen Fachhändlern rund um den Globus beibehalten wird. Immerhin gehörte die Kooperation mit hochrangigen Fachhandelspartnern zur Philosophie von Hans Wilsdorf.
Was bedeutet das für das Portfolio von Bucherer?
Nichts ändern soll sich bei Bucherer auch am existenten Markenportfolio. In diesem Zusammenhang bleibt freilich abzuwarten, ob beispielsweise die Swatch Group mit ihrer Topmarke Omega, dem ewigen Rolex-Konkurrenten, nach Abschluss der Transaktion tatsächlich bei Bucherer an Bord bleiben wird. Ähnliches gilt für Longines, einen der Tudor-Wettbewerber unter dem Dach der Swatch Group. Audemars Piguet dürfte sich vermutlich eher nicht daran stören, dass Bucherer das Zürcher „AP House“ betreibt. Ob Jaeger-LeCoultre die Dinge bei der benachbarten Boutique ähnlich locker sieht, bleibt indessen abzuwarten.
In der Münchner Residenzstraße arbeitet Bucherer auf zwei Etagen eng mit Rolex und Patek Philippe zusammen. Dem Vernehmen nach hätten beide Manufakturen das nicht sonderlich große Ladengeschäft mit traumhaftem Blick auf die Oper gern für sich alleine. Abzuwarten bleibt, ob Rolex hier nun die Oberhand gewinnt und künftig beide Etagen bespielt.
Aber der neue, sehr seriöse und faire Bucherer-Eigentümer wird sich, wenn überhaupt, nur sehr zurückhaltend und hintergründig in das Tagesgeschäft bei Bucherer einmischen sowie das Rad definitiv nicht von heute auf morgen um 180 Grad drehen. So gesehen können andere Branchengrößen, in Deutschland beispielsweise Rüschenbeck und Wempe, die ebenfalls seit vielen Jahrzehnten mit Rolex kooperieren, beruhigt in die Zukunft schauen.
Mehr Einblick, mehr Kontrolle für Rolex
Alles in allem kann man Rolex und Bucherer zu dieser Transaktion nur beglückwünschen. Sie stellt wichtige Zeichen in die Zukunft. Sollte sich der Markt eines Tages ändern und die Begehrlichkeit der Uhren aus Genf wider Erwarten abnehmen, hat die Manufaktur wichtige Fäden zur Kontrolle des Vertriebssystems und der Uhrenpreise in der Hand. Überdies bekommt Rolex tiefe Einblicke in die Strukturen des Uhrenfachhandels sowie, viel wichtiger, jede Menge Namen und Koordinaten zahlungskräftiger Kundinnen und Kunden.
Speziell um die werden zahlreiche Uhrenmarken das Haus Rolex heftig beneiden. Schließlich dient die Eröffnung hauseigener Monobrand-Boutiquen, wie mehrere Marken-CEOs in Interview wissen ließen, auch der Gewinnung kaum mit Gold aufzuwiegender Adressen. Aber auch hier ist gewiss, dass Rolex mit diesem Kapital sehr diskret und zuverlässig umgehen wird.