| Brennpunkt: Influencer
Ohne großes Budget einflussreiche Fürsprecher gewinnen und so seinen Bekanntheitsgrad steigern – gleich mehrere Beispiele aus der Branche zeigen, wie man sich mit Influencer-Marketing binnen kürzester Zeit einen Namen machen kann.
Der Schweizer Thomas Baillod revolutioniert gerade den Uhrenmarkt. In seiner Garage, auf eigene Faust, ohne Finanzierung, ohne Companions und ohne Investoren, entwickelte er eine faszinierende Vertriebsstrategie, die neu und anders ist – und extrem erfolgreich. Seine am 11.10.2019 um 11.10 Uhr auf dem Netzwerk Linkedin lancierte Marke BA111OD (sprich: Bajo) hat bereits acht Kollektionen und drei Uhrenkomplikationen auf den Markt gebracht, ein Manufakturmodul entwickelt und Pionierarbeit im Bereich des Connected Glass geleistet. Mehr als 6000 Uhren, ausschließlich in der Schweiz hergestellt, wurden seit dem Launch verkauft, darunter 700 Tourbillons.
War Thomas Baillod, der aus La Chaux-de-Fonds stammt, anfangs noch auf sich allein gestellt, steht er heute an der Spitze eines Unternehmens, das zehn Mitarbeitende beschäftigt und einen Jahresumsatz von mehreren Millionen Franken erwirtschaftet. Der 52-Jährige erklärt: „Die meisten Marken innovieren ihre Produkte, arbeiten aber weiterhin nach einem traditionellen Modell, wenn es um den Verkauf ihrer Uhren geht. Ein Modell, bei dem der Kunde immer noch als ,Endverbraucher‘ betrachtet wird, statt im Mittelpunkt zu stehen. Die Marken kennen sie nicht und treten mit ihren Kunden nur über teure Marketinginvestitionen oder ebenfalls teuer bezahlte prominente Botschafter in Kontakt.“
Genau dies tut der 52-jährige Vertriebsspezialist mit einer langjährigen Erfahrung bei Schweizer Werbeagenturen und Uhrenfirmen nicht. Er rückt den Kunden in den Fokus des Geschäftsgeschehens. Er macht ihn zum Markenbotschafter, zum Berater, zum Verkäufer. „Der Kunde ist bei uns Teil einer digitalen Community, die sich mit Empfehlungen, Anmerkungen, Selfies, Wristshots und jeder Menge Fachsimpeleien selbst unterhält“, erklärt Thomas Baillod und ergänzt: „Die Kunden, unsere Afluendors (Anmerkung der Red.: zusammengesetzt aus den Begriffen Ambassador,inFLUENcer und venDOR), stehen im Mittelpunkt unseres Geschäftsmodells und werden – wenn sie es wünschen – zu neuen Erlebnisvermittlern, die für ihre Empfehlung belohnt werden. Damit haben wir weniger Arbeit – und weniger Kosten.“
Was gut klingt, ist überdies recht simpel und zeigt die Aktualität, Reichweite und Kraft von Social Media. So berichten BA111OD-Afluendors beispielsweise auf Karrierenetzwerken wie Linkedin (weltweit mehr als eine Milliarde Mitglieder, davon 22 Millionen in Deutschland, Österreich und der Schweiz) von ihrer Uhr, posten Fotos und animieren so die Community zum Kauf. Kann der Afluendor überzeugen und gewinnt einen Neukunden, erhält er dafür „Token“, mit denen er Belohnungen wie beispielsweise einige BA111OD-Uhren, Accessoires der Marke oder Erlebnisse bei Partnern (Gastronomie, Museen etc.) kaufen kann. BA111OD kümmert sich darüber hinaus um die Transaktion, den Versand der Uhr an den neuen Kunden und den Kundendienst. Thomas Baillod: „Beim Wecommerce geht es darum anzuerkennen, dass wir uns auf das digitale Modell zubewegt haben, aber es auch nicht ohne Emotionen und menschlichen Kontakt geht. Die Transaktion findet online statt, aber die Erfahrung im wirklichen Leben – zwischen Menschen, die von der gleichen Leidenschaft für die Uhrmacherei angetrieben werden. Es ist ein kollaborativer Ansatz, der den Vertrieb und das Engagement in der Gemeinschaft durch einen phygitalen Ansatz neu definiert.“
„Die meisten Marken innovieren ihre Produkte, arbeiten aber weiterhin nach einem traditionellen Modell, wenn es um den Verkauf ihrer Uhren geht. Ein Modell, bei dem der Kunde immer noch als ,Endverbraucher‘ betrachtet wird, statt im Mittelpunkt zu stehen.“
Thomas Baillod, Gründer und Geschäftsführer BA111ODMehr als 4000 Afluendors zählt die Marke aktuell. Die Altersgruppe der 40- bis 60-Jährigen ist dabei besonders aktiv. Der Großteil sind Männer (rund 80 Prozent), doch seit dem Launch der ersten Damenuhren im vergangenen Jahr werden auch immer mehr Frauen Teil der Community.
Angesichts des rasanten Aufstiegs und um auf die Nachfrage neuer Kunden in immer größerem Umfang reagieren zu können, will die Marke in den kommenden Monaten ihr Geschäftsmodell weiterentwickeln. Vor allem in Deutschland, Frankreich, Hongkong und Singapur will BA111OD die Präsenz ausbauen. Um dieses internationale Wachstum zu unterstützen und sicherzustellen, hat die Marke ihre Lagerbestände optimiert. Auch setzt sie auf die Eröffnung von Erlebnispunkten bei ausgewählten Händlern, sodass Kunden die Zeitmesser bald schon live vor Ort entdecken können. Das bewährte Afluendors-System soll jedoch nicht aufgegeben werden. Thomas Baillod: „Im Gegenteil, es wird das Kerngeschäft der Marke bleiben.”
„Zur Messung des Erfolgs einzelner Influencer-Kampagnen haben wir Rabattcodes eingesetzt. Am Anfang war uns vor allem der Umsatz aus den Partnerschaften wichtig.“
Alisa Jahnke, Gründerin PureleiMit cleverer Produktlaunch-Strategie zu Millionen-Umsätzen
Thomas Baillod schreibt mit den „Afluendors“ die Geschichte des Influencer-Marketings fort und zeigt exemplarisch, welche (Geschäfts-)Möglichkeiten und welche (Kauf-)Kraft in der Empfehlung von Gleichgesinnten, in der Empfehlung von Freunden stecken kann. Um nichts anderes geht es beim Influencer-Marketing – und dies auch noch zu überschaubaren Preisen. Kostet derzeit beispielsweise eine einseitige Anzeige im „Zeit“- Magazin gut 38.000 Euro oder eine Anzeige in der Frauenzeitschrift „Brigitte“ um die 13.000 Euro, lassen sich mit der Beauftragung von Social- Media-Größen ohne großes Budget einflussreiche Fürsprecher gewinnen. Vor allem für Startups, die (noch) nicht über üppige finanzielle Mittel verfügen, ist das eine interessante Marketingform, zumal die Zielgruppe oft ohne Umwege erreicht werden kann. Dies steht im Gegensatz zur klassischen Onlinewerbung, von der etliche Nutzer eher genervt sind. Mehr als jeder vierte Internetnutzer hat einen Werbeblocker auf seinem Gerät installiert, wie Statista berichtet. Während Anzeigen also nicht nur teuer sind und oft herausgefiltert werden, ist Content-Marketing in Form von Influencer-Beiträgen kostengünstiger und sorgt viel eher für positive Aufmerksamkeit beim Zielpublikum.
Diese Erfahrung hat auch die 2016 gegründete Schmuckmarke Purelei gemacht. „Wir haben direkt zu Beginn Influencerinnen angeschrieben und Produkte hingeschickt. Viele haben unseren Schmuck dann auch vorgestellt“, erzählt Gründe- rin Alisa Jahnke und ergänzt: „Zur Messung des Erfolgs einzelner Influencer-Kampagnen haben wir Rabattcodes eingesetzt. Am Anfang war uns vor allem der Umsatz aus den Partnerschaften wichtig. Wir sind schließlich komplett aus dem Cashflow gewachsen. Allerdings sind wir auch sehr schnell mit passenden Creatoren langfristige Partnerschaften eingegangen, um Vertrauen sowohl bei Creatoren als auch deren Community aufzubauen.“ Ein Vorgehen, das Purelei binnen kürzester Zeit zu enormer Bekanntheit verholfen hat. Durch die Erwähnung des Schmucks auf den Accounts deutscher Influencerinnen wie etwa Millane Friesen oder Liz Kaeber, durch wöchentliche Kollektionsstart-Aktionen und Partnerschaften mit beispielsweise Westwing, Disney und Glossybox ist der Instagram-Kanal des Mannheimer Labels auf mittlerweile mehr als 825.000 Follower gewachsen. Das Unternehmen macht achtstellige Umsätze, beschäftigt mehr als 100 Mitarbeitende und hat erst vor wenigen Monaten, Mitte April, seinen ersten stationären Store in München eröffnet.
„Geheimwaffe“ von Newcomern
Ob das Wiener Start-up Urban Pieces oder Pukka Berlin aus der Hauptstadt, ob die Düsseldorfer Goldschmiedin Ariane Ernst oder das Diamantschmucklabel Veynou aus Frankfurt (siehe auch diesen Bericht), ob Elli Jewelry aus Hamburg, auf deren Homepage gleich sechs Influencerinnen die vermeintlich coolsten Stücke in einer Selection zeigen, oder aber Sanaz Hughes und Alexandra Wilke von der neuen Designschmuckmarke Rareté Studios, die sich zur Eröffnung ihres Pop-up-Stores in Köln im vergangenen November die Influencerin Farina Opoku (2,1 Millionen Follower auf Instagram) dazuholten, wissend um die Reichweite und Präsenz – etliche Newcomer der Branche setzten und setzen auf die PR-Unterstützung von Social-Media-Größen, um sich so einen Namen zu machen.
Auch die österreichische Marke Bruna the Label hat dies getan. 2019 gründeten Helena Milch- rahm und Simon Rupp ihr Schmucklabel und luden – ganz ähnlich wie Purelei – gleich Influencerinnen mit ins Marketing-Boot. Als diese auf ihren Accounts die Schmuckstücke präsentierten, dauerte es nicht lange und schon wurden sogar internationale Prominente wie die US-Schauspielerin Reese Witherspoon und Supermodels wie Candice Swanepoel oder Emily Ratajkowski, der Millionen auf Instagram folgen, auf das Label aufmerksam. „Das hat sich von Monat zu Monat hochgeschaukelt“, wird Helena Milchrahm bei „Business Insider“ zitiert. Auch andere Publikationen berichteten, etwa die „Vogue“.
Ein weiteres Paradebeispiel ist Stilnest aus Hamburg. Die Schmuckmarke, spezialisiert auf Made- to-Order, wurde zwar bereits 2013 gegründet und ging im Juni desselben Jahres online – der Durchbruch gelang jedoch erst Jahre später durch die Zusammenarbeit mit Social-Media-Bekanntheiten. „Die Authentizität und Persönlichkeit der Creatoren sind uns extrem wichtig. Beispielsweise hinterfragen wir, ob ihnen das Thema Nachhaltigkeit genauso am Herzen liegt wie uns und ob sie ebenfalls einen hohen Wert auf ,buy less, buy better‘ legen“, erklärt Mitgründer Tim Bibow (siehe auch dieses Interview). Die digitale Produktentwicklung im eigenen Haus führt zu reduzierten Produktionszyklen, wodurch schnell auf Rückmeldungen von Influencerinnen und Kundinnen reagiert werden kann. Durch die On- Demand-Fertigung wird kein großes Lager benötigt und Designs können individuell angefertigt werden. Seit Anfang des Jahres gehört Stilnest zur Julie & Grace GmbH aus Hamburg. Julie & Grace war bisher vor allem auf Marktplätzen wie Zalando oder About You präsent. Im Rahmen der Expansion wurde nun ein Akquise-Team aufgebaut, das gezielt internationale Influencer akquirieren und mit diesen gemeinsam authentische Schmuckkollektionen entwerfen und umsetzen soll. Denn warum ein Erfolgsrezept ändern, das bestens funktioniert?
Eine analysierende Übersicht zum Status quo
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Interview Tim Bibow (Stilnest)
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