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Gedanken zum Tod von Jörg Gerold Bucherer

Von Gisbert L. Brunner

Ob Jörg Gerold Bucherer seinen baldigen Tod geahnt hat, bleibt sein Geheimnis und das seiner engsten Vertrauten. Sicher ist jedenfalls, dass der Verkauf seines Uhren-Imperiums an Rolex im August 2023 schon von langer Hand eingefädelt war, um die Zukunft in Sinne des Patrons zu gewährleisten.

Dreimal bin ich dem am Montag, den 6. November 2023 verstorbenen Uhr-Unternehmer persönlich begegnet. Dreimal hatte ich Gelegenheit, einige Worte mit ihm zu wechseln. Dabei erlebte ich einen überaus freundlichen, verbindlichen, aber auch zurückhaltenden Menschen, dem die Zufriedenheit und das Wohlbefinden seiner Kunden überaus am Herzen lag. Ein Mann großspuriger Worte war Jörg Gerold Bucherer indes nicht. Obwohl er sicher viel und auch Wichtiges zu erzählen gehabt hätte. Die Bitten um ein Interview zu seiner Karriere, dem gigantischen Wachstum des Unternehmens seit der Übernahme vom Vater im Jahr 1977 und seinen Begegnungen mit Rolex-Gründer Hans Wilsdorf blieben leider unerfüllt. Jörg Gerold Bucherer war kein Mann, der öffentliche Auftritte schätzte. Er zog die Fäden lieber im Hintergrund und überließ anderen das Rampenlicht.

Dabei verdient das, was der Eigentümer binnen 46 Jahren aus der Bucherer AG gemacht hat, das Attribut spektakulär. Schließlich avancierte Bucherer unter seiner Ägide zum größten Uhrenhändler und Juwelier der westlichen Hemisphäre und zum weltweit größten Verkäufer von Luxusuhren. Geschätzter Jahresumsatz: gut zwei Milliarden Schweizer Franken. Dieser Aufstieg ist zweifellos einer gleichermaßen gezielten wie reflektierten Expansions- und Internationalisierungsstrategie zu verdanken. Die Tatsache, dass Bucherer einer der ältesten Rolex-Partner und zugleich auch größter Konzessionär ist, einen großen Teil seines Umsatzes mit Produkten der Genfer Traditionsmanufaktur generiert, war sicher hilfreich beim Wachstum, aber nicht der einzige Grund. Darüber hinaus besaß Jörg Gerold Bucherer Visionen und Standhaftigkeit.

Auf die richtige Karte gesetzt

Krisen, und davon erlebte er einige, vermochten ihn nicht aus der Bahn zu werfen. In besagtem Jahr 1977, als er alleiniger Chef wurde, brachte die Quarz-Revolution die Schweizer und die europäische Uhrenindustrie in eine existenzbedrohende Situation. Rolex, der heutige Bucherer-Eigentümer, setzte damals alles auf die Mechanik-Karte und lag damit absolut richtig. Davon profitierte natürlich auch Bucherer, als ab etwa 1985 die allmähliche Renaissance der Mechanik einsetzte. Bereits in den 1950er-Jahren, erinnerte sich Jörg Bucherer im kurzen Gespräch, hatte sein Onkel Ernst die 1924 gestartete Beziehung zu Rolex noch einmal deutlich intensiviert.

Vater Carl Eduard war bereits am 2. Februar 1951 gestorben und konnte den beachtlichen Aufschwung der Firma letztendlich auch in Kooperation mit Rolex nicht mehr miterleben. Auch sein Sohn begegnete Hans Wilsdorf bei unterschiedlichen Gelegenheiten. Zum Beispiel in punkto Qualitätsstrategie und Umgang mit Menschen hinterließ die deutsche Gründerpersönlichkeit beim 1936 Geborenen tiefe Eindrücke, die er später selbst in die Tat umsetzte. 1967 erwarb Onkel Ernst, der Bucherer in eine Aktiengesellschaft umgewandelt hatte, die in Lengnau bei Biel ansässige Montres Credos S.A. als Wiege eigener Bucherer-Uhren. Dank ihrer avancierte Bucherer in den 1970er-Jahren zum drittgrößten Hersteller offiziell zertifizierter Armbandchronometer nach Rolex und Omega.

Eine weitere Zäsur im Leben von Jörg Gerold Bucherer brachte das Jahr 1972. Zu Beginn der Quarzkrise zog sich sein Onkel aus der Geschäftsleitung zurück. Nun nahm der Absolvent verschiedener Schweizer Handelsschulen zusammen mit Cousin Erich das Ruder in die Hand. Nach dem Tod von Onkel Ernst Bucherer im März 1977 lag die alleinige Verantwortung bei Jörg Bucherer. In den Jahren bis 2001 übernahm er nicht nur die Anteile seines Vetters, sondern er erwarb auch die an der Schweizer Börse gehandelten Genuss- bzw. Partizipationsscheine. Damit erreichte er die völlige unternehmerische Unabhängigkeit.

Expansion nach Österreich und Deutschland

Mit dem Erwerb des Wiener Nobeljuweliers Haban hatte Jörg Bucherer schon 1987 einen ersten Schritt ins europäische Ausland gewagt. Dieser Kauf sowie die Übernahme von Carius & Binder – ebenfalls in der österreichischen Hauptstadt – führte zu Kontakten mit der bis dahin nicht im Sortiment vertretenen Marke Patek Philippe. Die weitere Ausdehnung des Bucherer-Imperiums verknüpfte sich ab 1995 auch mit der sehr überlegten Anstellung von Adelbert Bütler. Der verfügte über große Erfahrungen im internationalen Einzelhandel, darunter 16 Jahre beim größten Schweizer Warenhaus Manor.

Zusammen mit dem neuen CEO unternahm Bucherer einen zweiten Anlauf in Berlin. Der erste hatte vor dem Zweiten Weltkrieg in der Prachtstraße Unter den Linden stattgefunden. Ab 1996 gab es ein Geschäft am Kurfürstendamm, das in Deutschland den Wettbewerb vor allem mit Wempe entfachte. Ein Raunen ging durch die Uhrenbranche, als Bucherer am 1. September 2002 die Übernahme des Münchner Platzhirschen Andreas Huber mit einem Jahresumsatz von rund 15 Millionen Euro verkündete. Für einen ungenannten Kaufpreis erhielten die Luzerner nicht nur eines der renommiertesten deutschen Uhrenfachgeschäfte, sondern auch eine breite Palette von mehr als zwanzig hochrangigen Uhrenmarken, darunter wiederum Patek Philippe sowie A. Lange & Söhne. In der eidgenössischen Prestige-Hierarchie von Bucherer rangierten dagegen Audemars Piguet und Chopard neben Rolex ganz oben. Zum Reich des Schweizer Uhrenkönigs gehörte da auch schon die 2020 wieder veräußerte Kurz AG. Swiss Lion fokussierte sich auf Touristenattraktionen.

Apropos Touristen: In Bussen nach Luzern gefahrene Besucherinnen und Besucher aus Amerika und Asien leisteten einen extrem wichtigen Beitrag zum gigantischen Umsatzwachswachstum im 21. Jahrhundert. Dieser kletterte unter der Ägide von Jörg G. Bucherer, Adelbert Bütler und dem ihm 2009 nachfolgenden Guido Zumbühl von geschätzten 300 Millionen Schweizer Franken im Jahr 2000 auf besagte gut zwei Milliarden 2022.

Neben Huber hatte sich Bucherer 2002 auch den insolventen Nürnberger Juwelier Wallner zugelegt und unter eigenem Namen zu neuer Blüte entwickelt. Mit dieser Aktion endete der Expansionsdrang in Deutschland fürs Erste. Bucherer musste seine Hausaufgaben machen und alle Neuerwerbungen in die Gruppe integrieren.  Gestillt war der Hunger nach mehr freilich nicht. Weitere Bucherer-Konkurrenz erwuchs deutschen Juwelieren 2007 durch die Übernahme der René Kern Uhren- und Schmuckgeschäfte in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt und Hamburg. 80 Mitarbeitende hatten dort 2006 einen Umsatz von circa 50 Millionen Euro erlöst.

Wachstum weit über den deutschsprachigen Raum hinaus

Einmal mehr zeigte sich der visionäre Unternehmergeist von Jörg Bucherer im Jahr 2013, als Guido Zumbühl für ihn in Luzern die Tagesgeschäfte führte. Im Herzen von Paris eröffnete er einen Uhren-Megastore mit 2.200 Quadratmetern Verkaufsfläche. Anfangs tat sich Bucherer in dem ersten nicht deutschsprachigen Land einigermaßen schwer. Aber mittlerweile ist der Bann in Frankreich gebrochen. Den Sprung in eine Nation ohne Grenze zur Schweiz tat Jörg Bucherer 2016 mit einer Boutique im Kopenhagener Nobel-Kaufhaus Illum. 2022 erwarb er zudem den dänischen Mitbewerber Klarlund von der Investmentgesellschaft Pitzner. Ab 2017 war Bucherer mit vier Geschäften in Großbritannien aktiv. Die Übernahme von The Watch Gallery trug zusätzlich auch einen reichen Erfahrungsschatz in Sachen E-Commerce ein. Als weiteres Engagement im englischsprachigen Raum folgte Anfang 2018 der Kauf des Luxushändlers Tourneau mit nicht weniger als 28 Geschäften in den USA. Als Arrondierung des Business in der Neuen Welt ist der Erwerb von Baron & Leeds mit fünf Boutiquen in Kalifornien und auf Hawaii zu betrachten. 2019 startete Bucherer zudem den Handel mit Uhren aus Vorbesitz, neudeutsch CPO genannt. Hier besteht mittlerweile eine zertifizierende Partnerschaft mit Rolex.

Explizit auf Betreiben von Jörg Bucherer erfolgte 2001 der Aufbau einer eigenen Uhrenmanufaktur, deren Name Carl F. Bucherer an den Firmengründer erinnert. Im Zuge dessen ging der Kooperationspartner Techniques Horlogères Appliquées SA 2007 in der Bucherer-Gruppe auf. Gleichzeitig erfolgte eine Umbenennung in Carl F. Bucherer Technologies AG.

Kritik erntete Jörg G. Bucherer übrigens auch. Und zwar während der Corona-Krise, als asiatische Touristen ausblieben, Geschäfte schließen und allein in Luzern wegen des Umsatzrückgangs von über 90 Prozent bis zu 170 von rund 1.100 Schweizer Arbeitsplätzen abgebaut werden mussten. Aber der Patron ließ sich davon nicht beirren. Er behielt das Große und Ganze im Blick und wusste um seine Zukunftsverantwortung für das Unternehmen mit seinen weltweit 2.400 Beschäftigten.

Tiefe Verneigung vor dem Lebenswerk

Vermutlich wusste Jörg G. Bucherer zu diesem Zeitpunkt längst um den kommenden Deal mit Rolex, seinem größten Lieferanten. Familiäre Nachkommen hatte er nicht. Um das im Laufe von 135 Jahren aufgebaute Erbe zu bewahren, blieb letztlich nur ein Verkauf an einen anderen Giganten, der den Preis von schätzungsweise vier Milliarden Schweizer Franken locker stemmen konnte. Natürlich hätte es auch andere Interessenten wie beispielsweise LVMH gegeben. Die Rolex-Konzessionen wären dann jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit verloren gegangen, was den Wert der Bucherer AG mit ihren verschiedenen Unter-Firmen beträchtlich geschmälert hätte.

Bleibt zum Schluss mit Blick auf das Lebenswerk von Jörg G. Bucherer nur eine tiefe Verneigung. Was er während 46 Jahren zusammen mit einem sorgsam ausgewählten Management geschaffen hat, verdient allerhöchsten Respekt. Fast 70 Standorte in Europa und Nordamerika sprechen eine deutliche Sprache. Über die Verwendung seines persönlichen Milliardenvermögens lässt sich nur mutmaßen. Es dürfte in verschiedenen Stiftungen aufgehen. Ruhe in Frieden, Jörg Gerold Bucherer.    

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