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„Ein komplizierter Schnellschuss“

Dr. Guido Grohmann vom BVSU befürchtet, dass die Diamant-Sanktionen der Branche mehr schaden als Russland

Was kommt durch die Russland-Sanktionen auf die Branche zu? Dr. Guido Grohmann, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Schmuck, Uhren, Silberwaren und verwandte Industrien e.V., kann dazu bisher auch nur Vermutungen anstellen. Informiert oder in den Prozess einbezogen wurden deutsche Branchenvertreter nicht. Er befürchtet aber, dass die Sanktionen der europäischen Uhren-, Schmuck- und Edelsteinbranche mehr schaden können als Russland.

Herr Grohmann, wie überrascht waren Sie von den Sanktionsbeschlüssen, die da vor Weihnachten veröffentlicht wurden?

Dr. Guido Grohmann: Dass die Sanktionen kommen würden, war klar, das war ja ab Februar vergangenen Jahres schon angekündigt. Was uns aber tatsächlich überrascht hat, war, dass die EU Antwerpen zum „single point of entry“ für Diamantimporte in die EU gemacht hat. Es war ebenfalls klar, dass Belgien diese Forderung gestellt hat; wir konnten uns nur nicht vorstellen, dass sich die Vertreter der anderen Länder auf die Schaffung dieses Monopols einlassen. Auch jetzt findet sich dieser Beschluss nur versteckt auf Seite 278 im Anhang der Veröffentlichung. Wir sind ausdrücklich für die Sanktionen, aber ich fürchte, so, wie sie angedacht sind, sind sie ein komplizierter Schnellschuss, von dem niemand so recht weiß, wie er in die Tat umgesetzt werden soll.

In der Tat konnte oder wollte uns das bei der EU oder der Bundesregierung niemand schlüssig erklären. Wurden Sie denn im Vorfeld der Entscheidung zumindest von der Bundesregierung konsultiert?

Nein, es gab keinerlei Anfragen hierzu, auch bei keinem der anderen Branchenverbände. Ich weiß von einem anderen Verbands-Vertreter, der von sich aus den Kontakt ins Finanzministerium gesucht hat. Sagen wir es so: Der Austausch war auf Seiten des Ministeriums von wenig Sachkenntnis geprägt.

Das heißt, Sie wissen auch nicht, wie das Blockchain-basierte System zur Rückverfolgung der Diamanten funktionieren soll? Immerhin soll es ja am 1. März schon im Einsatz sein.

Nein, uns hat dazu bisher niemand informiert.

„Wir sprechen vor allem über Annahmen und Vermutungen. Wir haben bisher wenig Handfestes, Verbindliches, das über die vagen Formulierungen in den Sanktionsbeschlüssen hinausgeht.“

Dr. Guido Grohmann

Gedanken dazu haben Sie sich aber sicher gemacht, was auf die Branche zukommt.

Ja, natürlich, aber wir sprechen vor allem über Annahmen und Vermutungen. Wir haben bisher wenig Handfestes, Verbindliches, das über die vagen Formulierungen in den Sanktionsbeschlüssen hinausgeht. Klar scheint, dass ab 1. März keine „gemischten Päckchen“ mehr importiert werden dürfen, sondern nur noch Diamanten mit geklärter Herkunft. Aber was wird wie wo geprüft? Das wissen wir nicht, außer dass Antwerpen allein dafür zuständig sein soll. Auch das angekündigte Blockchain-System muss ja entwickelt und validiert werden. Wer das macht? Wissen wir nicht. Müsste es nicht auch erstmal EU-weit ausgeschrieben werden? Womöglich. Unsere Befürchtung: Am Ende schadet die ganze Aktion der Branche vielleicht mehr als Russland, das eigentlich getroffen werden sollte.

Vor allem betrifft es erstmal ja auch Länder außerhalb der EU, die für Herkunftsnachweise sorgen müssen, um weiter Diamanten in die G7-Staaten exportieren zu können.

Indische Schleifer wissen sicher oft sehr genau, woher sie ihre Ware bekommen haben. Aber die Rechnung wird ja nicht als Nachweis ausreichen. Es hängt also alles davon ab, dass sie ein System nutzen, das es momentan aber noch gar nicht gibt. Und sie müssen die gesamte Lieferkette mit eingebunden bekommen. Afrikanische Minen, indische Schleifereien, Händler in Indien, Israel und Dubai usw., um nur ein paar Beispiele zu nennen. Diese Akteure sitzen allesamt weder in EU- noch in G7-Staaten und haben kein primäres Interesse daran, sich für einen vergleichsweise kleinen Markt wie den Diamanthandel in der EU mit hohen Investitionen in weltweit nicht abgestimmte Trackingsysteme einen Marktnachteil zu verschaffen.

Was ist mit der Ware, die die Schleifer schon auf Lager haben? Die dürfte sich ja nicht nachträglich deklarieren lassen.

Ich kann mir das nur so vorstellen, dass es Übergangsfristen geben wird. Aber selbst, wenn nicht: Die Diamant-Vorräte in Deutschland und den USA sind groß genug, dass mehrere Monate ohne Importe überbrückt werden könnten, falls die G7 von heute auf morgen nur noch Diamanten mit gesichertem Herkunftsnachweis akzeptieren, die entsprechend erstmal gefördert werden müssten. Wir sprechen hier aber wie gesagt nur über Vermutungen – uns fehlen die Informationen der EU, wie sie sich die Umsetzung konkret vorstellen.

Welche Folgen wird das für den Diamantmarkt haben?

Wir sehen sicher bald eine Zweiklassen-Gesellschaft: Die G7-Diamanten mit Herkunftsnachweis auf der einen Seite und Diamanten ohne diesen Nachweis auf der anderen Seite. Die G7-Diamanten werden die teureren sein, denn den ganzen Zertifizierungsaufwand muss ja jemand bezahlen.

„Das Risiko ist hoch, der eigenen Schmuck-, Uhren- und Edelsteinindustrie in den G7-Staaten mit einem höheren Betrag zu schaden als dem russischen Diamanthandel.“

Dr. Guido Grohmann

Haben die Sanktionen nicht auch etwas Gutes – indem sie zum Beispiel einen Prozess hin zur Transparenz in Gang setzen, der sonst viel länger gedauert hätte?

Das ist in der Tat ein erstrebenswertes Ziel und wäre auch eine Demonstration gegenüber Russland, dass die G7 das gemeinsam hinbekommen. Langfristig wird uns das als Branche sicher nach vorn bringen, indem wir sicherstellen können, dass wir nur mit Diamanten arbeiten, die nicht aus Konfliktgebieten stammen. Dafür muss man aber eben auch sehr viele Länder und Akteure einbinden. Die Einführung jetzt erscheint uns sehr überstürzt, das hätten wir uns vom Prozess und der Kommunikation her anders gewünscht.

Dazu gehört auch, das Märchen von dem geschätzten 4-Milliarden-Euro-Markt für russische Diamanten geradezurücken. Ich schätze den Schaden, den die G7 im russischen Diamanthandel anrichten können, auf maximal 250 Millionen Euro, und dabei runde ich schon stark nach oben auf. Das Risiko ist hoch, der eigenen Schmuck-, Uhren- und Edelsteinindustrie in den G7-Staaten mit einem höheren Betrag zu schaden als dem russischen Diamanthandel.

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