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„Von Transparenz profitiert die ganze Wirtschaft“

Wie schnell könnte ein weltweites Tracing-System für Diamanten entstehen? Klemens Link von Provenance Proof im Interview

Provenance Proof bietet seit 2019 eine Blockchain-basierte Lösung für die Rückverfolgbarkeit von Edelsteinen. In Sachen Rückverfolgbarkeit russischer Diamanten haben Vertreter der G7 oder der EU ihn jedoch bisher nicht kontaktiert, sagt Geschäftsführer Klemens Link. Wir wollten von ihm wissen: Wo liegen die Stolpersteine bei solch einem System? Und wie realistisch ist es, dass es bis zum Herbst branchenweit im Einsatz ist?

Herr Link, was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie von den EU-Sanktionen gegen russische Diamanten und die geplante G7-Blockchain hörten: „Top, eine Riesenchance für uns" oder „Wie wollen die das in dem knappen Zeitrahmen hinbekommen“?

Klemens Link: Mein erster Gedanke war: „Super, hoffentlich ändert sich endlich was.“ Dazu kamen aber auch Bedenken, dass ein System entstehen könnte, welches an der Realität vorbei entwickelt wird – weil es entweder nicht praktikabel ist oder zu viele Schlupflöcher offen lässt. Wir haben im Farbedelsteinsektor in den vergangenen Jahren vor allem eines gelernt: Wenn ein System zur Transparenz erfolgreich eingeführt werden soll, dann muss dieses sehr eng gemeinsam mit den Stakeholdern entwickelt werden, also von den Minen bis zu den Schmuckherstellern und selbstverständlich auch gemeinsam mit den Behörden und Regierungen. Um ein erfolgreiches System zu entwickeln, benötigt man neben technischem Know-how echte Industriekenntnis und eine gewachsene Vertrauensbasis. Es muss einen Konsens über die Kontrollmechanismen geben, welche zudem einfach skalierbar sein müssen. Eine Blockchain kann da tatsächlich sehr viel bewirken. Es ist vertrauenswürdiger, Daten auf einer Blockchain zu speichern, als diese zentral von einer Instanz verwalten zu lassen. Das wissen wir. Aber es reicht nicht aus, lediglich eine digitale Kopie einer klassischen Papierdokumentation zu erstellen. Die Diamanten müssen mit den digitalen Daten überprüfbar verbunden sein. Und das ist meines Erachtens die große Herausforderung. Wir haben das zum Beispiel für Smaragde mit physischen Tracern gelöst, welche schon in der Mine am Stein angebracht werden.

Hat Sie im letzten oder in diesem Jahr jemand kontaktiert – von der EU, dem WDC, der Antwerpener Diamantbörse, der amerikanischen, japanischen oder belgischen Regierung – um über Provenance Proof zu sprechen?

Wir wurden oft kontaktiert von einzelnen Diamantenhändlern und zahlreichen Schmuckherstellern, welche nicht warten möchten, bis es eine offizielle Lösung gibt. Wir haben in sehr kleinem Maßstab auch gemeinsam Lösungen gefunden und werden dies kontinuierlich ausbauen. Wenn man möchte, gibt es bereits einige jetzt transparent gehandelte Diamanten auf dem Markt. Auch bei Schweizer Behörden stoßen wir auf Interesse. Die EU oder die Regierungen der G7 haben sich noch nicht gemeldet. Das ist schade, denn wir teilen gerne unser Wissen und würden gut helfen können, effizient etwas Brauchbares auf die Beine zu stellen. Bei so einem wichtigen Ziel sollte es nicht darum gehen, welche Firma oder Interessensgruppe am Ende zum Zuge kommt. Von Transparenz profitiert die ganze Wirtschaft.

„Wenn ein System zur Transparenz erfolgreich eingeführt werden soll, dann muss dieses sehr eng gemeinsam mit den Stakeholdern entwickelt werden, also von den Minen bis zu den Schmuckherstellern und selbstverständlich auch gemeinsam mit den Behörden und Regierungen.“

Klemens Link, Provenance Proof

Haben Sie Signale erhalten, ob Provenance Proof von den G7 als Herkunftsnachweis nach dem 1. September 2024 anerkannt wäre oder müssten Ihre Kunden gegebenenfalls zwei Systeme parallel betreiben oder zwangsweise auf das von den G7 und der EU anerkannte umsteigen?

Meines Erachtens sollte die EU als erstes Richtlinien und Vorgaben erarbeiten, welche unbedingt eingehalten werden müssen. Und sie sollte bereit sein, dass man ihre Kontrollinstanzen wie den Zoll über Schnittstellen digital mit einbauen kann. Dann liegt es an Initiativen wie der unseren, diese Voraussetzungen zu erfüllen und die Vorgaben effizient zu integrieren. Sonst besteht auch die Gefahr, dass zu viele kleine Händler und Diamantenanbieter, welche gerne zu Transparenz beitragen möchten, vom zukünftigen Markt ausgeschlossen werden. Unser Erfolg basiert auch auf der Kooperation mit anderen Firmen, von Anfang an. Ich bin überzeugt, gemeinsam lässt sich auch für die EU ein praktikables System auf die Beine stellen.

Wäre Provenance Proof denn generell dazu geeignet, das von der EU beabsichtigte Tracing für Diamanten „von der Mine bis zum Finger“ abzubilden? Wie viele Teilnehmer, wie viele Edelsteine könnte es verwalten oder pro Monat neu aufnehmen?

Wir haben einige Erfahrung mit großen Datenmengen und einer stark wachsenden Anzahl an Nutzern. Unser Blockchain-System läuft robust und ist agil. Es lässt sich technisch sehr schnell skalieren. Im Bereich der Farbedelsteine verzeichnen wir ein dynamisches Wachstum. Vor zwei Jahren feierten wir die Dokumentation weniger hunderttausend Steine und heute beherbergt die Provenance Proof Blockchain über 11 Millionen Edelsteine. Und wir passen das System kontinuierlich den Bedürfnissen der Industrie an.

Ich bin überzeugt, gemeinsam mit der EU könnten auch wir recht zügig unsere Blockchain erweitern, dass sie alle Bedingungen erfüllt. Man darf nicht vergessen, bereits jetzt betreiben wir ein System, welches eine weite Akzeptanz und Vertrauen genießt. Es steht weltweit jedem Stakeholder zur Verfügung. Zusätzlich könnten wir mit unserem System auch die kleinen Diamanten und Melee-Ware behandeln. Die werden in den aktuellen Diskussionen ausgeschlossen, obwohl sie einen großen Teil des Marktes ausmachen.

Was ist mit Kleinschürfern ohne besondere technische Ausstattung und ständige Internetverbindung – wie könnten die angebunden werden?

Das ist einer der ganz kritischen Punkte. Es geht nicht nur um die Kleinschürfer, sondern auch um viele tausend kleine Schleif-, Handels- und Juwelierbetriebe, welche es sich nicht leisten können, in IT oder Datenverwaltung zu investieren. Auch die Sprache und die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, stellen leider immer noch Hürden dar. Und auch unser digitales System setzt als Minimum zumindest zeitweise Internetzugang voraus; darüber hinaus wird aber sehr wenig technische Ausstattung benötigt. Eine einfache Kamera (zum Beispiel im Handy) sowie eine Waage reichen in den meisten Fällen schon aus. Die physischen Tracer lassen sich natürlich auch in den abgelegensten Orten der Welt anbringen und können so die Brücke bis zur digitalen Erfassung bilden. Abgesehen davon haben wir viel Erfahrung, um wirklich jeden einzubinden. Oft geschieht dies zum Beispiel durch die Bildung von lokalen und selbstverwalteten Kooperativen vor Ort.

„Brands und Juweliere können eigenständig entscheiden, welche Ware sie verkaufen. Ich bin mir sicher, viele unterstützen Transparenz und bevorzugen bereits jetzt solche Diamanten mit unzweifelhafter Herkunft. Dieser Pull-Effekt könnte meines Erachtens sogar mehr bewirken als Vorgaben der EU und die Prozesse ernsthaft beschleunigen.“

Klemens Link, Provenance Proof

Und wie steht es um die Diamanten, die bereits im Umlauf sind: Nachträgliche Herkunftsnachweise sind ja sicher nicht möglich – wird die Ware damit unverkäuflich in Richtung G7-Staaten und EU?

Das liegt nicht in unserer Hand. Wir bieten Lösungen für Transparenz an. Aber rückwirkende Transparenz ist meines Erachtens nicht glaubwürdig möglich. Es liegt an den Staaten darüber zu entscheiden, wie mit Altbeständen und auch mit antiken Diamanten umgegangen werden soll. Ich kann mir vorstellen, dass es Fristen geben wird. Nichtsdestotrotz wird es schwieriger, Diamanten aus bestehenden Beständen an Schmuckproduzenten zu verkaufen, denn Brands und Juweliere können eigenständig entscheiden, welche Ware sie verkaufen. Ich bin mir sicher, viele unterstützen Transparenz und bevorzugen bereits jetzt solche Diamanten mit unzweifelhafter Herkunft. Dieser Pull-Effekt könnte meines Erachtens sogar mehr bewirken als Vorgaben der EU und die Prozesse ernsthaft beschleunigen.

Aus Ihrer Erfahrung heraus: Wie lange würde es dauern, ein allumfassendes Tracking-System zu etablieren, die Marktteilnehmer anzuschließen und darin zu schulen? Oder anders gefragt: Wenn heute jemand von der EU auf Sie zukäme – welchen Zeitrahmen für die Einführung würden Sie ihm kommunizieren?

Das hängt natürlich von den EU-Vorgaben ab, und wir positionieren uns momentan noch nicht aktiv, aber ich bin überzeugt, mit einem entsprechenden Budget ließe sich ein System wie unseres innerhalb von sechs bis acht Monaten erfolgreich anpassen. Wir müssen es ja nicht neu erfinden. Die Marktteilnehmer würden wir wie immer direkt von Anfang an mit ins Boot nehmen, so dass es da zu keiner weiteren Verzögerung käme. Erste Schritte – wie Datenerfassungen und Transfers und auch die Kommunikation zu Endkunden – können direkt jetzt schon mit unserer bestehenden Blockchain durchgeführt werden.

Welcher Zeitaufwand entstünde für das Überprüfen der Angaben bei der Clearingstelle oder dem Zoll?

Das ist die große Frage. Ich vermute, es wird ein Stichprobensystem aufgesetzt. Letztlich ist es eine Frage der Ressourcen und der zur Verfügung gestellten digitalen Schnittstellen. Ich denke jedoch nicht, dass das eine zu große Hürde darstellen würde. Vieles könnte hochautomatisiert durchgeführt werden.

Mit welchen Kosten pro Diamant müssten Teilnehmer bei Provenance Proof in etwa rechnen?

Das ist in dieser Phase noch schwierig abzusehen. Es hängt zum Beispiel davon ab, welche Daten erfasst werden sollen und auch welche Technologien wie zum Beispiel physische Tracer oder Marker mit einbezogen werden. Im Farbedelsteinbereich sind die Kosten für einzelne Nutzer sehr gering, insbesondere im Verhältnis zu den Werten der Steine und auch im Vergleich zu den Qualitätsbeurteilungen gemmologischer Labore. Es ist ja gerade ein Vorteil digitaler Technologien, dass Prozesse effizient gestaltet und somit auch kostengünstig umgesetzt werden können. Das ist uns auch wichtig, da wir die Kleinstbetriebe in ökonomisch benachteiligten Regionen mit ins System einschließen möchten.

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