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Städtischer Handel im Wandel

IFH Köln

Im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (MWIDE NRW) hat das IFH KÖLN in der Studie „Zukunft des Handels – Zukunft der Städte“ den Status quo und die Perspektiven des Handels in Innenstädten, Quartieren, Stadtteil- und Ortszentren in Nordrhein-Westfalen untersucht. Fazit: Stadt und Handel haben sich in den letzten Jahren gewandelt und werden sich weiter verändern müssen. 

Insbesondere das Onlineshopping und die Coronapandemie haben und werden ihre Spuren im Handel und an seinen Standorten – insbesondere den Innenstädten – hinterlassen. Aber die Studie zeigt auch eine starke Verbundenheit der nordrheinwestfälischen Bevölkerung dem stationären Handel in den Zentren gegenüber. Der innerstädtische Handel hat grundsätzlich also Potenzial, vorausgesetzt Stadt und Handel wandeln sich und arbeiten gemeinsam an ihrer Zukunft. Denn die Zukunft des Handels und die Zukunft der Städte ist eng miteinander verknüpft: Stadt und Handel stehen in einer wechselseitigen, beinahe symbiotischen Beziehung zueinander und ihre Herausforderungen und Aussichten sind untrennbar miteinander verbunden.  Einkaufsverhalten und Handel in Nordrhein-Westfalen befinden sich im Wandel. Insbesondere die zunehmende Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, die Veränderungen im Konsumentenverhalten und der Strukturwandel hinterlassen seit Jahren ihre Spuren. Während der Onlinehandel rasant an Bedeutung gewinnt, erleidet der Innenstadthandel enorme Einbußen.

Digitalisierung, verändertes Konsumverhalten und Strukturwandel

So konnte der Onlinehandel 2020 in Nordrhein-Westfalen um mehr als 20 Prozent zulegen. Der Anteil des Onlinehandels lag 2020 damit bei knapp 13 Prozent – bis spätestens 2030 ist ein Anstieg auf 20 bis 26 Prozent zu erwarten. Profiteure des Onlinebooms sind vor allem große Online-Marktplätze und -Händler wie Amazon, eBay, Otto und Zalando. Lokale Onlineshops und -marktplätze partizipieren nur sehr begrenzt am Onlinewachstum. Der innerstädtische Handel hingegen wird immer stärker von der – auch im Jahr 2020 – insgesamt positiven Einzelhandelsentwicklung abgekoppelt und zählt zu den großen wirtschaftlichen Verlierern der Coronapandemie. Der Bekleidungseinzelhandel beispielsweise verzeichnete 2020 Umsatzeinbußen von rund 25 Prozent, der Einzelhandel mit Schuhen und Lederwaren von 21 Prozent. Infolge des anhaltenden Strukturwandels schließen in nordrhein-westfälischen Klein-, Mittel- und Großstädten immer mehr Einzelhandelsgeschäfte und hinterlassen Leerstände. So wurden in Nordrhein-Westfalen zwischen 2010 und 2020 mehr als 10.000 Geschäfte geschlossen. Die durchschnittliche Leerstandsquote lag 2020 zwischen sieben und zehn Prozent. Die Coronapandemie treibt diese Entwicklungen rasant an. So ist in Nordrhein-Westfalen bis 2030 mit bis zu 21.000 weiteren Geschäftsschließungen zu rechnen, was einen Rückgang der Geschäfte um rund 20 Prozent bedeuten würde.

Besucherfrequenzen schon lange unter Druck

Der Onlinehandel nagt an den Besucherfrequenzen der Innenstädte und anderer Handelsstandorte, denn wer online einkauft, sucht in der Regel seltener Geschäfte und entsprechende Standorte auf. Und seit Beginn der Coronapandemie verhalten sich in Nordrhein-Westfalen immer mehr Menschen so – während und abseits der Lockdowns: 56 Prozent der Befragten in Nordrhein-Westfalen geben an, dass sie infolge der Coronapandemie seltener in Geschäften einkaufen – auch außerhalb der Lockdowns. Besonders stark ist dies bei Jüngeren der Fall: In der Gruppe der 18- bis 39-Jährigen haben 62 Prozent die Anzahl ihrer Geschäftsbesuche reduziert. Bei Älteren ist diese Verhaltensänderung zwar weniger stark ausgeprägt, doch zeigt sie sich auch bei 52 Prozent der 40- bis 59-Jährigen und bei 53 Prozent der 60- bis 69-Jährigen. Die Folge: Die Besucherfrequenzen in Innenstädten, Stadtteil- und Ortszentren vieler nordrhein-westfälischer Klein-, Mittel- und Großstädte erodieren, im Jahresdurchschnitt 2020 um rund 30 Prozent, an für den Einzelhandel gewöhnlich besonders umsatzstarken Tagen, wie z.B. dem Black Friday oder dem Samstag vor dem ersten Advent, in Spitze um fast 70 Prozent. Doch ist das nur die halbe Wahrheit, denn die Frequenzen in den Innenstadtlagen stehen schon länger unter starkem Druck. Der Handel ist zwar auch weiterhin der Hauptgrund dafür, dass Konsumentinnen und Konsumenten eine Innenstadt aufsuchen, doch ist die Bedeutung des Shoppings als Freizeitbeschäftigung in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Betroffen hiervon sind Zentren in Klein-, Mittel- und Großstädten gleichermaßen, wenn auch Innenstädte in größeren Großstädten bzw. „Shoppingmetropolen“ am stärksten unter dem Bedeutungsverlust des Shoppings leiden. Insbesondere für Jüngere verliert der stationäre Handel – zumindest in seiner gegenwärtigen Form – an Anziehungskraft. Das Durchschnittsalter der Innenstadtbesucherinnen und -besucher ist in den vergangenen Jahren dementsprechend fortlaufend gestiegen. Gleichzeitig liegt die Anzahl der während eines Innenstadtbesuchs durchschnittlich aufgesuchten Geschäfte auf niedrigem Niveau, ebenso die Verweildauer.

Lokale Angebotslücken als Treiber für E-Commerce

Ob Konsumentinnen und Konsumenten online oder offline einkaufen, hängt aber nicht nur von deren Einkaufskanalpräferenzen, sondern auch vom lokalen Angebot ab: Mangelnde Produktverfügbarkeiten bzw. Angebotslücken sind vor allem in Kleinstädten und Landgemeinden Nordrhein-Westfalens ein starkes Argument dafür, dass Menschen im Internet einkaufen, anstatt in Geschäften. So geben 85 Prozent der Bevölkerung von Kleinstädten und Landgemeinden an, im Internet einzukaufen, weil die Geschäfte in ihrer Umgebung oftmals nicht die Produkte führen, die sie benötigen. Erwartungsgemäß schwindet die Bedeutung dieses Motivs mit zunehmender Stadtgröße und dem damit im Regelfall wachsenden lokalen Einzelhandelsangebot. Doch selbst in größeren Großstädten, in denen üblicherweise ein sehr großes und vielfältiges Produktangebot vorhanden ist, geben fast 60 Prozent an, aufgrund von lokalen Angebotslücken im Internet einzukaufen.

Handelsstandorte mit Potenzial

Auch wenn Onlineshopping und Onlinehandel zukünftig unbestritten weiter wachsen werden und der Handel in seiner gegenwärtigen Form – insbesondere für Jüngere – vielerorts und auch abseits der Coronapandemie allein kein Garant (mehr) für hinreichend hohe Besucherfrequenzen ist, haben innerstädtische Handelsstandorte und der dortige Handel in Nordrhein-Westfalen durchaus Potenzial. So setzt sich die nordrhein-westfälische Bevölkerung in weiten Teilen aus „selektiven Onlineshoppern“ (64 Prozent), die je nach Produkt und Situation zwischen Online- und Offlinekanälen wechseln, sowie nicht (gerne) im Internet einkaufenden „traditionellen Handelskäufern“ (18 Prozent) zusammen. Nicht zuletzt verbinden die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen mit dem Handel in ihren Innenstädten, Quartieren, Orts- und Stadtteilzentren mehrheitlich Lebensqualität, Wohnortattraktivität und Heimatgefühl. Auch zeigen sich mehr als zwei Drittel der NRW-Bevölkerung besorgt darüber, dass Händler in ihren Wohnorten die Coronakrise nicht überstehen könnten und schließen müssten.

Vom monofunktionalen Einkaufsraum zum multifunktionalen Lebensraum

Innenstädte, Quartiere, Stadtteil- und Ortszentren leiden vielerorts unter niedrigen Besucherfrequenzen, kurzen Verweildauern und wenigen Geschäftsbesuchen. Treiber dieser Entwicklungen sind vor allem Veränderungen im Einkaufsverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten – Versorgungskäufe werden zunehmend in das Internet verlagert und insbesondere Jüngere finden immer seltener den Weg in die City. Doch wie lässt sich die Attraktivität innerstädtischer Handelsstandorte erhöhen, um Konsumentinnen und Konsumenten (wieder) zum Besuch und Verweilen zu motivieren? Neben der Aufenthaltsqualität mit Ambiente/Flair, Erlebniswert und Bequemlichkeit ist die Angebotslandschaft entscheidend für die Attraktivität eines Handelsstandorts. Besonders hoch ist hierbei der Stellenwert des Einzelhandels. Doch dieser wird die von ihm benötigten Besucherfrequenzen in seiner gegenwärtigen Form außerhalb der Nahversorgung immer seltener sicherstellen können.

  • Um Konsumentinnen und Konsumenten altersgruppenübergreifend (zurück) in die Zentren zu holen und zum Verweilen anzuregen, sind dort neben „Einkaufen/Shopping“ verstärkt auch andere (potenzielle) Besuchsmotive zu bedienen. Und die Konsumentinnen und Konsumenten in Nordrhein-Westfalen haben ein klares Bild davon, was sie von ihren Innenstädten, Quartieren, Stadtteil- und Ortszentren (zukünftig) erwarten: Multifunktionalität, also die Kombination unterschiedlicher Nutzungsarten, wie beispielsweise Handel, Gastronomie, Freizeit-, Kultur-, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen. In Großstädten steht dabei vor allem Shopping und Gastronomie im Vordergrund. In Klein- und Mittelstädten ist es eher der tägliche Einkauf. Das überrascht zunächst einmal nicht, vielmehr ist es die Fülle an gewünschten Funktionen, die Innenstädten, Quartieren, Stadtteil- und Ortszentren zugeschrieben werden. Hervorzuheben hierbei: Die hohe Bedeutung, die (konsumfreien) Verweil-, Freizeit- und Interaktionszonen sowie dem Thema Wohnen beigemessen wird. Überspitzt ausgedrückt heißt dies, dass sich Innenstädte, Quartiere, Stadtteil- und Ortszentren von monofunktionalen Einkaufsräumen zu multifunktionalen Lebensräumen entwickeln müssen. Basisanforderungen müssen erfüllt werden: Mängel im Bereich der Basisanforderungen sind an den betroffenen Handelsstandorten zwingend zu beseitigen. Hierzu zählen mit Sauberkeit, Sicherheit, Orientierung und Bequemlichkeit insbesondere Defizite im Bereich der Aufenthaltsqualität sowie die Erreichbarkeit.
  • Bei Leistungsanforderungen sollte gepunktet werden: Defizite im Bereich der Leistungsanforderungen sollten – im Vergleich zu relevanten Wettbewerbsstandorten – mindestens ausgeglichen, besser überkompensiert werden. Zu den klassischen Leistungsanforderungen zählen vor allem Multifunktionalität, Angebotsvielfalt und Angebotsqualität sowie daran anknüpfende Services.
  • Mit Begeisterungsanforderungen kann überrascht und begeistert werden: Werden die Basisanforderungen erfüllt und punktet ein Handelsstandort im Vergleich zu anderen Handelsstandorten bei den Leistungsanforderungen, können Akzente im Bereich der Begeisterungsanforderungen zur weiteren Profilierung im Standortwettbewerb beitragen. Geeignet hierfür sind beispielsweise Merkmale, die den Erlebniswert eines Handelsstandorts unterstreichen (z.B. gestalterische Besonderheiten, neuartige Flächenkonzepte, einzigartige Veranstaltungen/Veranstaltungsreihen, Maßnahmen zur Standortinszenierung wie City-Walks, Selfie-Points etc.).

Während Basisanforderungen in Handelsstandorten jedweder Stadt- und Standortkategorie gänzlich zu erfüllen sind, wächst die Bedeutung von Leistungs- und Begeisterungsanforderungen tendenziell mit zunehmender Stadt- bzw. Standortgröße. Und: Infolge von Gewöhnungseffekten und veränderten Rahmenbedingungen können sich Begeisterungsanforderungen im Zeitablauf bisweilen zu Leistungsanforderungen und schließlich zu Basisanforderungen entwickeln.

Werden die Menschen in Nordrhein-Westfalen danach befragt, in welchen Bereichen ihre Städte und Gemeinden zum Zwecke der Attraktivitätssteigerung und Vitalisierung der Innenstädte und Ortszentren aktiv werden sollten, priorisieren auch sie vornehmlich als Basisanforderungen kategorisierte Aspekte rund um Aufenthaltsqualität und Erreichbarkeit. Ganz oben auf der Prioritätenliste: Sicherheit, Sauberkeit, Leerstandsvermeidung/-beseitigung und das Thema Stadtbegrünung.

Die gesamte Studie ist als kostenloser Download auf der Website des IFH KÖLN verfügbar.

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