| Brennpunkt
Was tun, wenn die Geschäfte schlechter laufen? Aufgeben oder neu starten? In beiden Fällen müssen Juweliere und Goldschmiede zunächst ihr Altlager abverkaufen, und das möglichst verlustfrei. Keine leichte Aufgabe, da fließen auch schon mal Abschiedstränen. Aber wer seinen Räumungsverkauf gut plant, hat schon halb gewonnen.
Obwohl Martina Bettinger schon vor drei Monaten ihr Geschäft geräumt hat, schließt sie noch immer morgens ihre Ladentür auf und geht zur Arbeit. Das hat weniger mit der Macht der Gewohntheit zu tun als mit den vielen Dingen, die sie noch zu erledigen hat. Ende 2016 hatte die gelernte Goldschmiedin und Einzelhandelskauffrau ihr Uhren- und Schmuckgeschäft im schwäbischen Rottenburg schweren Herzens aufgegeben: Juwelier Schäfer – ein Familienbetrieb mit fast 160-jähriger Tradition. Ihr Nachfolger: ein Schmuck-Filialist.
Nach der Auflösung eines so alten Geschäfts sei die Nacharbeit nicht zu unterschätzen. „Wir müssen noch umbauen und uns um den Brandschutz, die Alarmanlage und diverse An- und Abmeldungen kümmern“, sagt die frühere Inhaberin. Auch Ware sei noch übrig. Allerdings nur wenig, denn der siebenwöchige Abverkauf am Jahresende sei sehr erfolgreich gelaufen. Etwa einen Jahresumsatz habe sie in der Zeit erzielt, dank der Hilfe eines Räumungsspezialisten: „Für uns war klar, dass es ohne professionelle Unterstützung nicht geht.“
Die Rottenburgerin ist nur eine von vielen Juwelieren, die sich von ihren Geschäften verabschieden, vor allem in kleinen und mittleren Städten. Anders als bei Bettinger sind es häufig geschäftliche Gründe. Und obendrauf findet sich oft kein Nachfolger. Laut des Branchenverbands BVJ sank die Zahl der Betriebe im Einzelhandel mit Uhren und Schmuck zwischen 2011 und 2015 von 8492 auf 7895 – das ist ein Rückgang von rund sechs Prozent. Er betraf vor allem kleinere Geschäfte mit Jahresumsätzen von einigen hunderttausend Euro.
Wer den Laden aufgeben will, muss die nicht selten erheblichen Lagerbestände loswerden. Aber wie, ohne dabei große Verluste zu machen? Fehlt ein Nachfolger, der die Ware übernimmt, lässt sich das meist nur über einen gut organisierten Abverkauf mit kräftigen Rabatten bewerkstelligen. Schafft man das allein oder nur mit fremder Hilfe? Solche Fragen stellen sich auch jene Juweliere, die zwar geschäftliche Probleme haben, aber noch nicht vor dem Aus stehen. Für sie gilt: Die Lagerbestände müssen in Liquidität verwandelt werden, um damit eine Neupositionierung finanzieren zu können. Denn nicht selten fehlt es an den nötigen Bankkrediten.
Abverkauf, Räumungsverkauf, Aktionsverkauf – so lauten dann die Zauberworte. Für meist vier bis acht Wochen wird der Umsatz durch Rabatte angekurbelt. Je größer Geschäft und Warenlager, desto eher scheinen dafür Räumungsspezialisten engagiert zu werden. So war es auch bei Bettinger. Sie hatte die Firma Walter Lehmkühler aus Hagen mit dem Räumungsverkauf beauftragt. „Bei finalen Räumungen erzielen wir bis zum 1,5-Fachen des Jahresumsatzes“, erzählt Geschäftsführer Walter Lehmkühler. Der Unternehmer, der selbst aus einer Juweliersfamilie stammt, hat sich auf die Schmuck- und Uhrenbranche spezialisiert und berät nach eigenen Angaben pro Jahr 50 bis 70 Juweliere, in Fragen des Aktionsverkaufs ebenso wie in puncto Portfoliosteuerung und Personalschulung (siehe Interview Seite 12). Als Totengräber von Juwelieren sieht sich Lehmkühler deshalb aber nicht. In vielen Fällen gelinge sogar eine erfolgreiche Neuausrichtung des Geschäfts – statt seiner Beerdigung.
Auch Jochen Kaas kennt die Sorgen von Juwelieren, die ihr Lager abverkaufen müssen. Mit seiner Firma Jochen Kaas Consulting führt er ebenfalls Sonderverkäufe speziell für Schmuck- und Uhrenhändler durch. Seine Heimat ist Nürtingen (Baden-Württemberg), eine Stadt vor den Toren Stuttgarts mit gut 40 000 Einwohnern. „Das ist genau die Stadtgröße, in der es für kleine Juweliere immer schwerer wird“, sagt Juwelierberater Kaas. Je nachdem, ob es um eine Geschäftsaufgabe oder um eine Umstrukturierung gehe, sei unterschiedlich vorzugehen. Bei einer Sortimentsbereinigung dauere die Aktion in der Regel vier, manchmal sechs Wochen. Totalräumungen könnten acht Wochen und mehr beanspruchen. Auch die Rabatthöhe hängt vom Grund des Sonderverkaufs ab. „Falls das Geschäft bleiben soll, darf die Ware nicht verramscht werden“, erklärt Kaas. Wenn dagegen alles wegmüsse, fange er beim Schmuck lieber gleich bei 50 Prozent an, ehe etwas liegen bleibe. Bei Uhren hingegen würden Rabatte von rund 20 Prozent reichen.
Räumspezialisten wie Kaas und Lehmkühler rühren im Vorfeld ordentlich die Werbetrommel, um möglichst viele Kunden ins Geschäft zu holen. Geworben wird auf allen Kanälen, am effektivsten seien allerdings die bestehenden Kontakte. „Die direkte Kundenansprache ist das Wichtigste“, so Kaas.
Auf seine Stammkunden hat auch Peter Pfitzner gesetzt, als er im Herbst 2016 seine Goldschmiede in Goslar aufgab und aus privaten Gründen an den Niederrhein zog. „Ich habe zuerst meine bestehenden Kunden angeschrieben und ihnen 30 bis 40 Prozent Rabatt auf alle Artikel geboten“, sagt Pfitzner. Auf ältere Stücke gab es etwas mehr Rabatt, auf neue weniger. In einem zweiten Schritt informierte der Goldschmiedemeister zwei Monate später die Öffentlichkeit, unter anderem per Zeitungssonderseite. Die Rabatte erhöhte er auf bis zu 50 Prozent, in den letzten 14 Tagen sogar auf bis zu 70.
Pfitzner gehört zu jenen, die den Sonderverkauf nicht in fremde Hände geben wollen. „Bei einem professionellen Räumer wäre für mich ja nichts mehr übrig geblieben“, sagt er. Und der Erfolg gebe ihm recht. 80 Prozent seiner Vorräte habe er abverkauft – ein guter Halbjahresumsatz. Pfitzner: „Ich habe aber auch eineinhalb Jahre darauf hingearbeitet und mein Lager langsam schrumpfen lassen.“ Die Erlöse dienten auch als Startkapital für seine neue Werkstatt im westfälischen Rheinberg, die er heute ohne Ladengeschäft betreibt. Pfitzner hat sich auf CAD-Schmuckkreationen spezialisiert und stellt den Paul-Lincke-Ring her, den die Stadt Goslar jedes Jahr an verdiente Unterhaltungsmusiker verleiht.
Theresia Auel hingegen, eine Goldschmiede-Kollegin aus dem rheinland-pfälzischem Alzey, ist froh, sich Hilfe geholt zu haben. Vor Beginn ihres Räumungsverkaufs Mitte November hatte sie sich Jochen Kaas ins Boot geholt. „Allein hätte ich das nicht geschafft. Ich bin mit 3200 Artikeln gestartet“, sagt sie. Ein sehr volles Lager also, das vor allem mit Modeschmuck und -uhren gefüllt war, die sie seit einigen Jahren zusätzlich im Angebot hatte. „In den ersten sechs Wochen haben wir einen Jahresumsatz erzielt“, berichtet Auel. Die Rabattphase dauere noch an, werde aber im April noch einmal mit zusätzlichen Reduzierungen neu angestoßen. Juwelierberater Kaas kümmere sich dabei um die Werbung, die Kundenanschreiben, die Aufkleber für die Fenster und strategische Fragen. Personal habe er nicht stellen müssen. Für seine Leistungen berechnete er einen festen Betrag statt einer Umsatzbeteiligung. „Nur deshalb hat es sich bei mir gerechnet“, berichtet Theresia Auel, die ihre Erlöse in eine neue, aber sehr viel kleinere Goldschmiede in Mainz investieren will.
Nicht weniger als eine 125-jährige Familientradition stand vor einem Jahr bei Juwelier Kempkens in Krefeld auf dem Spiel. Inhaber Detlef Kempkens und seine zwei Töchter hatten sich gedanklich schon auf die Geschäftsaufgabe eingestellt, unter anderem wegen eines kostspieligen Sanierungsstaus in der Immobilie. Dann kam der Räumungsverkauf, abgewickelt von Walter Lehmkühler, und ein Neustart samt Umbau sei plötzlich wieder greifbar gewesen. „Zuerst haben wir den Zahlen Lehmkühlers nicht geglaubt“, berichtet Detlef Kempkens. Aber die Aktion habe das Geschäft schließlich gerettet.
Text Sebastian Höhn
Illustration Nadine Pfeifer